Was ist Malerei als Malerei?

Schon Charles Baudelaire hatte - angesichts der Bilder von Delacroix - die Freiheit der Farbe und Farbakkorde in der Malerei als eigenständige Qualität gewürdigt. Es wäre ein Mißverständnis, die Kunst der klassischen Moderne - ob sie auch schon 1800, erst 1870 oder gar 1890 beginnt - als Befreiung der Kunst vom Inhalt zugunsten der Form zu verstehen.. Die klassische Moderne ist ein Ringen um den Inhalt, ja geradezu seiner Restauration, mittels der Innovation der Form. Nach dem Ersten Weltkrieg spielte freilich die “Form für sich“, als Emanzipation der Mittel, auch und gerade der Sehmittel zur Reflexion ihrer selbst, eine zunehmend dominierende Rolle. Ein „Inhalt“ der Kunst blieb freilich stets erhalten, sie wäre sonst Nonsens geworden; aber den heftigen Verfechtern der Autonomie der Form traten immer wieder auch Stimmen des Einspruchs aus unterschiedlichen Lagern entgegen. Ob reaktionär, ob marxistisch, ob psychoanalytisch - so moralisch eindrucksvoll Adornos Einforderung der radikalen Autonomie als Verweigerungsanspruch gegenüber dem „Bestehenden“ war, so ist sie auch durch die kunstgeschichtliche Forschung, die hinter jeder Autonomie eine zeitbedingte kommentierende geistige Auseinandersetzung ermitteln konnte, überholt.

Aber die Position der Künstler der klassischen Moderne behauptete die Emanzipation der Form. „Nichts ist konkreter und realer als eine Linie, eine Farbe, ein Plan“, schrieb Theo Van Doesburg. Viele Künstlerinnen und Künstler nach 1945 bezogen aus solchen und zahlreichen Äußerungen der klassischen Moderne ihr Selbstverständnis.
Die Bilder von Sandro Vadim machen es eigentlich schwer, sie mit Worten zu erläutern, gar zu interpretieren.
Ich glaube, sie wollen es gerade dem Transponieren ins Wort schwer machen. Die Bilder sind pure Malerei und wollen nichts anderes sein - und damit die Malerei als eigenständige Kommunikationsform unabhängig und neben der Sprache behaupten. Allein die Farbe trägt das Bild. Sie organisiert eine abstrakte Komposition, die ganz für sich gesehen werden will. Aber das Bild ist nicht frei von gegensätzlichen Assoziationen, z.B. an Landschaften, und will auch das nicht sein. Die dominante, meist leuchtende Farbe ist nur oberflächliches Kennzeichen seiner Bilder. Sie sind aus einem subtilen und anhaltenden Prozeß hervorgegangen, bei dem Farbe übermalt, Bildpartien überdeckt oder freigehalten werden, Zweit - und Drittfarben hervorlugen und durch Farbe erzeugte Formgebilde darzustellen vermögen. Dies entsteht in einem Prozeß, dem Prozeß des Malens - eben der eigenständigen Sprache. Der Beschauer, der sich ins Bild vertieft und auf das Detail einläßt, entdeckt aber Stimmungen, Gefühle, gar Erzählungen in jedem einzelnen Bild.

Sandro Vadim wurde als Sohn deutscher Eltern in Rom geboren, ist sechs Jahre dort aufgewachsen und dann nach Deutschland übergesiedelt. Aber italienische Reminiszenzen - die Farbe, das Licht, das Leuchten - sind in seinen Gemälden spürbar geblieben.
In der Kunst praktizieren wir vielfache leere Rituale. In der gesellschaftlichen und politischen Diskussion praktizieren wir vielfache leere Rituale. Deswegen, denke ich, ist eigentlich jede hochgeistige Interpretationsbemühung zeitgenössischer Kunst oft überschraubt, aber auch oft hohl und leer. Wir wissen heute, daß Picasso ein malender Philosoph und Intellektueller war, und gleichwohl hat er das größte malerische Werk des 20. Jahrhunderts geschaffen. Wir sollten einen Maler akzeptieren wie den aus dem Mittelalter, der sich als Handwerker verstand. Gewiß: der Künstler ist seit 200 Jahren, seit Beginn der Moderne, Außenseiter der Gesellschaft, und stilisierte sich dadurch zu philosophischen Höhen, die kaum jemand nachzuvollziehen vermochte. Sandro Vadim malt einfach - aber das mit Radikalität.

Prof. Dr. Harald Siebenmorgen